Christian Belt of Sweden / Österbymo / Gescheiterte Projekte / Staatliche Alkohol Apotheke [Tag 13]

Im Grunde kannsch hier machen was de willsch. Und denn stirbsch halt. (Zitat Jens H.)

Es pisst von morgens bis abends die ganze Zeit, jeden Tag und der Wind kommt von Süden und treibt Blätter in meinen Trinkwassersee und lässt mein Windrad unter der Nennleistung drehen. Es trocknen 3 Paar Schuhe im Wohnwagen und 2 Jacken und wenn ich morgens um 7 Uhr (fast noch dunkel) bei geöffnetem Schott (sonst vergase ich) meinen Kaffee trinke, dann habe ich 6 Grad Celsius Innentemperatur. Alles schreit und piepst und warnt und blubbert weil alles knapp ist. Strom, Gas, Wasser, Internet deutsch, Internet schwedisch, Telefon allgemein, Geld auf dem Konto, Druckerpapier naß, Birnen blitzen durch und mein Auto hat 2 Teile verloren.

Es ist glaube ich leichter eine Familie zu haben als so zu leben. Ich mußte meine monatlichen Wartungen für die Agentur in Berlin machen, meine Steuererklärung und weitere Projekte. Und dann noch halbstündlich den Überlebensscheiß regeln.

Gerade – weil es um 18.30 Uhr dunkel wird – musste ich meine Runde machen. 40 Liter Wasser aus dem Blättersee fischen, Benzin im Wald nachkippen (der Generator steht jetzt hinter 2 Felsen 40 Meter im Wald in einem tiefen Graben und in den bin ich gerade reingefallen und hatte aus dem Wald schon 2 Zecken an mir)

Danke – Jürgen aus Osten – für deinen 10 Liter Kanister!! Der Stromgenerator hat ein Mülltütendach wegen dem Regen. Es ist ein Autowaschanlagenregen. Mein Auto ist übrigens sauber. Es sind nicht einzelne Tropfen die hart sind und plattern, so wie in Deutschland. Es ist extremer Sprühregen.

Und meine verblödete Autobatterie habe ich zur Windstation gebracht. Mit Wind oder Super aufgeladen zeigt sie mir schöne 12,3 Volt an und verendet nach 4-5 Stunden bei 10,8 Volt.

Mit einem Trolley, der für die Brücke der Idebo-Fähre ist, die schon wieder ab April 2019 fährt, (und ich bin noch gar nicht vorbereitet) habe ich die Straßenbahnbatterie von der Windstation geholt und jetzt bleibt die im Wohnwagen.

Sieht ordentlich aus. Ich bin stolz.

Rechts sind übrigens meine Vorräte. Weitere Vorräte sind im anderen Kühlschrank der von Volkswagen ist. Wenn ich länger weg bin und zurück komme, dann rennt eine Maus, die auf dem Kopf keine Haare hat aus dem Bereich. Dafür habe ich eine Katze aus Idebo unter meinem Wohnwagen, die aus meiner Mülltüte isst und irgendwann mal die Maus erwischt.

Wegen der Kälte ist jetzt der hintere Bereich meines Wohnwagens kein Schlafzimmer mehr. Die Umluft bis nach hinten braucht zuviel Strom. Ich schlafe vorne, denn da kommt die Strahlungswärme der Truma-Gas-Heizung hin.

Hinten ist jetzt Chill-Irgendwas-Lese-Ecke mit meinem Office Drucker mit nassem Papier.

Ich hatte gestern bei meiner Fahrt in die Zivilisation ein Autoteil verloren. Habe es im Rückspiegel gesehen wie es davongekachelt ist. Ich weiß bis jetzt nicht, was es war. War wohl nicht so wichtig. Schwarz und vielleicht 20cm x 20cm. Aber ich hatte davor noch ein anderes Autoteil verloren. Ein Stück von meiner linken, unteren Seitenleiste unter der Fahrertür. Da das wohl am ersten Tag hier auf der Insel bei meiner Rettungsaktion war, bin ich 2 Std. da hingelaufen. Habe es nicht entdeckt, aber dafür ein Selfie mit einem Termitenhügel gemacht. Ich bin in der Russen-Hocke, aber das Teil ist groß.

Als gestern nichts ging und ich aber Internet haben mußte, habe ich Tranås in Google Here Maps mit den restlichen 100 Megabyte meiner deutschen Sim-Karte (Edge Schneckenpost) eingeben und war bereit, 60 km zu fahren um meine schwedische Halebop Karte aufzuladen. Als Nicht-Schwede habe ich keine personnummer und kann nichts machen und bin vogelfrei. Man kann online auch nur mit Visa etc. bezahlen, wenn man ein schwedisches Konto hat. Als Migrant geht hier halt nichts. Du kennst das ja.

Auf meiner Fahrt bin ich nach 20 km auf eine Ansammlung von Container gestoßen und einer vielleicht 10 Meter hohen Holzfigur die in etwa so aussah. Das Bild ist geklaut aber mein Foto war zu verschwommen weil ein Holzlaster hinter mir gehupt hat.

Das Gute ist, dass diese Stadt alles hat was ich brauche. In einem Tankstellen-Landhandel konnte ich meine SIM um 30 GB feinstem Telia-Internet erweitern und die Leute haben auch 11 kg Gasflaschen für nur 500 Kronen = 50 Euro. In Ystad waren das 600 Kronen. Ein Mann hat mir auch mehrere 3,5 % Leichtbierdosen aus dem Kühlschrank geholt. Ich wäre den Leuten fast um den Hals gefallen, aber das wäre nicht lagom gewesen.

Am Ende der Container-Siedlung (die sich als Provinzhauptstadt herausgestellt hat), hinter den Schneepflügen, Ölfässern und Holzstapeln war ein Coop und sogar ein Systembolaget – also eine staatliche Alkoholiker-Apotheke. Davor standen ein paar alte Schwerst-Mehrfach-Alkoholiker. Einer hat mir mit der Hand auf mein Beifahrerfenster geklatscht und wollte einsteigen. Ich bin natürlich gleich in meinen ersten Systembolaget reingegangen und war überrascht. Es roch nach Desinfektionsmittel drinnen. Eine strenge Frau mit weißem Kittel begrüßte mich auf Deutsch. Ein grüner Defibrillator hing hinter ihr an der Wand. „Gutes Taag!“ Sie hatte mein deutsches Kennzeichen gesehen: B-LA .. Das heißt blau auf schwedisch. Es gab vier sterile Bereiche: A: Schnaps, B: Bier, C: Italienische Weine. „Ask me if I can be of any help for your.“ Ja, nee. Wahrscheinlich hat die Frau Pharmazie oder Pharmatoxikologie studiert und wollte das umsetzen. Ich habe meine 4 Dosen Bier genommen und musste sie auf ein Förderband legen. Im Raum waren nur ich und die Frau. Trotzdem hat das Förderband den Alkohol 2 Meter durch die Kasse gefahren und verschwand in einer grauen Tüte. Aber entgegen aller Meinungen, dass Bier in Schweden teuer sei, muss ich sagen, dass meine 0,5 L Stockholm Festival und Mariestads nur 1,50 € pro Stück gekostet haben. Mann muss nur Mo-Fr im „System“ sein zwischen 11-15 Uhr. Also normal arbeitslos sein. Denn: Danach schließt die Frau ab und macht sich einen Gemütlichen.

Diese Siedlung, die nur 20 km von mir weg ist heißt übrigens Österbymo und ist der „Hauptort“ meiner Provinz „Ydre“. Und „Ydre“ ist eine ?Provinz in „Östergötland“. Reinzoomen – Rauszoomen – Hilft alles nichts.

Ich habe heute mit Simon, meinem schwedischen Sprach-Tandem-Partner aus Berlin gechattet. Ich fragte, ob es eine Stad hier gäbe mit Kultur, Soja-latte macchiato, Gay-Bars oder so. Und ob ich sowas in den wirklich größeren Städten Jönköpping, Linköpping oder Norrköpping finden könnte. Aber er sagte „Nein“. Wo ich bin sei der „Christian belt of Sweden“. Also vergleichbar mit dem mittleren Westen der USA. Pech gehabt. Holzkirche hier – Holzkirche da – morgen bin ich in Amerika.

Also – bevor ich hier durch Regen oder Schnee nicht mehr von meiner Halbinsel runterkomme – werde ich in den nächsten ~? 7-10 Tagen wegfahren 300 – 400 km nach Norden. Wohin genau weiß ich nicht. Es könnte in der Nähe von Upsalla sein oder einer Art Silicon Valley, das im Norden liegt und umgeben von Bergen ist. Das gibt es wirlich. Rico – wie heißt das? Oder ich muss Kathys Freundin fragen.

Schweden Wildnis pro und contra:

contra:

• kalt
• naß
• menschenleer – alle 3 Tage ein Mensch von Weitem
• alles ist immer ein Notfall und knapp
• 100 km Autofahrt über Feldwege oder roten Schotter für eine f** Tankstelle oder Kiosk oder zum Kartoffel kaufen
• Leute sind zurückhaltend (finde ich eigentlich ganz sympatisch. Ich kann machen was ich will)

pro:

• Wälder wie von Bob Ross getupft. And God bless you.
• Himmel egal wie böse das Wetter ist erscheint abends immer rosa, türkis, gelb, blau – einfach schön.
• Sternenhimmel drängt sich krass auf. Man lernt Sternenbilder ohne es gelernt zu haben. Ich kenne meine Sterne inzwischen.
• Tiere sind neugierig auf einen, weil sie Menschen nicht richtig kennen. Mir ist mal ein ein adler-ähnlicher Vogel gefolgt weil ich gepfiffen habe. Oder Rehe – ich teile mir ein Klo mit Rehen. Sehr anständig. Die haben ihre Ecke und ich meine. Oder Insekten sind hier auch ganz cool. In meinem Wohnwagen lebt eine Wespe, die immer wieder rein kam und jetzt hier überwintern darf.

Gelungenes Projekt: Torstens Penner-Heizung als Ofen für Kanebulles und Tee. Am 4. Oktober ist hier nationaler Kanebulles-Tag (das sind Zimtschnecken).

Geht auch für Pizza und Fischfilet oder so. Smoking Toto.

Windfang für den Wohnwagen. Auto in Luv abstellen. Spart Heizkosten.

 

Ungelungene Projekte:

Die Papp-Isolierungen mit weißem Panzer-Tape fliegen bei Wind ab.

Und.

Ich wollte eine Alternative zur Solardusche bauen. Wenn ich in der Küche den Wasserhahn aufdrehe, dann holt sich die Tauchpumpe aus dem Eimer warmes Wasser und ich kann duschen. Durch den Wohnwagen soll nicht warmes Wasser fliessen, denn sonst fliegen die Übergangsdichtungen ab. Das kannte ich schon. Aber mit dieser Technik fließt das Duschwasser zu schnell durch und ist in 2 Minuten weg. Es gibt keine Stop-Taste.

Außerdem pfeifft der eiskalte Wind durch diese Ecke. Projekt gescheitert. Ich dusche mit Ricos Solardusche im Badezimmer so wie es gedacht war. 2 Teekannen kaltes Wasser und eine Teekanne kochendes Wasser.

12 Volt Heizgerät hat eine Sicherung durchgeknallt. Welche Sicherung wo weiss ich nicht.

Es sind unabhängig vom Heizer noch weitere Lichter ausgefallen. In meiner Hobby 1987-er Rundsitzecke die zwei Eck-Puff-Lämpchen. Das ist bei einer Strom-Umsteck-Aktion passiert. Es lief wohl noch der Generator (den man nicht mehr hört in 40 Meter Entfernung hinter 2 Felsen) als ich auf autark-Betrieb umgesteckt habe oder vice versa. Aber auf die beiden 2 Watt-Lampen kann ich verzichten. Ausserdem leuchte die jetzt im Dunklen ohne Strom. Sie glimmen einfach so. Aber ich habe andere Fragen an das Universum.

Von mir bis nach Österbymo sind 10 km der 20 km auf roter Schotterpiste (Video):